Widerspruchshierarchie revisited
Hier hatte ich vor 5 Jahren bereits einmal einen Artikel über die Widerspruchshierarchie nach Paul Graham verfasst. Der Erfinder dieser Hierarchie, Paul Graham, war Programmierer. Dies ist der Grund, dass er – wie biem Programmieren üblich – seine Hierarchie bei Null beginnen lässt. Die Entwicklung bei Social Media und nicht zuletzt der amerikanische Wahlkampf mit dem Präsidentschaftskandidaten Trump haben diese Hierarchie letztlich nach unten erweitert. Ich habe daher zwei Stufen hinzugefügt:
Stufe -1: Lügen
Niemals wurde in der Geschichte seitens eines Präsidentschaftskandidaten nicht erst in diesem Wahlkampf, sondern bei allen Wahlkämpfen, bei denen Trump involviert war, so sehr gelogen. Seine Sprecherin Kellyanne Conway hatte ja bereits im Zusammenhang mit der angeblich größten Amtseinführung am 20.01.2017 den Ausdruck „alternative Fakten“ erfunden. Seitdem ist das Lügen zum neuen Normal in der politischen Debatte geworden. Es werden einfach Behauptungen rausgehauen seien sie noch so nachweisbar erfunden und falsch („they are eating the dogs…“) und der Gegner verunglimpft. Leider scheint dieser Stil nun auch in der deutschen Politik Fuß zu fassen. Wenn etwa der Kanzlerkandidat der CDU/CSU einfach ohne jeglichen Beleg behauptet, 90% der Frauen hätten heute Angst auf die Straße zu gehen oder Martin Huber, der Generalsekretär der CSU, der auf Instagram behauptet, die Grünen wollten den Menschen ihre Haustiere wegnehmen. Leider scheinen die meisten der Politiker auf dieser Stufe -1 zu beharren. Und dies führt leider dazu, dass noch mehr Vertrauen in die Politik und die Politiker verloren geht. Dies treibt die Wähler leider den extremen Parteien wie der AfD zu, deren Wahrheitsliebe auch gegen Null geht, wie mancher Faktencheck zeigt.
Stufe -2: Gewalt
Leider haben die vergangenen Wahlkämpfe in Sachsen und Thürigen gezeigt, dass mittlerwele auch wieder Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zunimmt. Ich gehe zwar davon aus, dass dies von den politischen Parteien nicht gewollt ist. Dass aber gewaltbereite Neonazis gerade der AfD nahe stehen und geduldet werden, dürfte unstreitig sein, Dies lässt nichts Gutes für den bevorstehenden kurzen und heißen Wahlkampf erwarten.
Gerade für Mediatoren ist diese Entwicklung unerträglich, Mediation will in Konfliktfällen, seien es Sachkonflikte oder Beziehungskonflikte oder Machtkonflikte, zu einer interessengeleiteten Lösung kommen. Hierzu gehört natürlich die Bereitschaft, miteinander zu sprechen und nicht mit unfairen Mitteln sich einen Vorteil zu verschaffen versuchen. Leider scheint sich unsere Gesellschaft derzeit in großen Teilen wegen der für viele schwer zu begreifenden Umbrüche rückwärts zu entwickeln. Waren wir vielleicht in den 90er Jahren noch in der egalitären Phase (soziale Marktwirtschaft), haben wir uns angesichts der von Teilen der Politik und der Wirtschaft betriebenen Globalisierung und dess damit einhergehenden Raubtierkapitalismus zur meritokratischen Stufe zurückentwickelt. Derzeit scheinen wir wieder in der tribalen Phase angekommen zu sein. Hier geht es ausschließlich darum, im eigenen Stamm geborgen zui sein. Deshalb ist es den Trump-Anhängern und auch den Anhängern der AfD völlig gleichgültig, ob und in welchem Maße ihre „Führer“ lügen. Hauptsächlich der eigene Stamm gewinnt.
Ich bleibe aber immer noch bei der Hoffnung, dass dies nur die am lautesten brüllenden Teile der Gesellschaft sind und dass wir nicht alle diesen Rückschritt mitmachen. Deshalb ist es wichtig, dass alle diejenigen, die für eine offene Gesellschaft eintreten, sich zu Wort melden. Und vielleicht schafft es auch der eine oder andere Politiker (neben Robert Habeck) zumindest Stufe 4 der Widerspruchshierarchie zu erklimmen.