Von der schrecklichen Vereinfachung zur kreativen Lösung: Watzlawicks Ansätze im Fokus heutiger Konflikte
Paul Watzlawick, bekannt durch die 5 Axiome der Kommunikation, hat sich in dem gemeinsam mit John H. Weakland und Richard Fisch verfassten Buch „Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels“ auch mit Problemlösungen beschäftigt. Er unterscheidet hierbei zwischen zwei Ordnungen von Lösungen. Das sind einmal Lösungen 1. Ordnung, die sich innerhalb der Gesetzmäßigkeiten eines Systems bewegen und Lösungen 2. Ordnung, die nur außerhalb des Systems entwickelt werden können. Eine typische Lösung erster Ordnung ist ein „Mehr desselben“. In einfachen Systemen kann dies funktionieren. Wenn es kalt ist, drehe ich die Heizung höher und ich habe das Problem behoben. Bei komplexen Systemen führt ein „Mehr desselben“ aber meist zu neuen Problemen. Eine zweite Lösungsvariante der Lösungen erster Ordnung wird von Watzlawick und Kollegen als „schreckliche Vereinfachung“ bezeichnet. Hier werden bei der Prüfung der Lösungsmöglichkeiten wichtige Faktoren nicht einbezogen. Letztlich sind die (sozialen) System derart komplex, dass die Entscheider wichtige Auswirkungen schlicht nicht wahrnehmen oder wahrnehmen wollen, weil es zu anstrengend ist, sich mit allen Auswirkungen zu befassen.
Lösungen zweiter Ordnung nach Paul Watzlawick erfordern einen grundlegenden Perspektivwechsel und das Verlassen der bisherigen Denk- und Handlungsmuster. Diese Art von Lösungen geht über das bloße “Mehr desselben” hinaus und sucht nach neuen Wegen, das Problem zu verstehen und zu lösen.
Ein Beispiel für eine Lösung zweiter Ordnung ist die Reframing-Technik. Hierbei wird die Bedeutung oder der Kontext eines Problems verändert, sodass es in einem neuen Licht erscheint und dadurch neue Lösungsansätze ermöglicht werden. Zum Beispiel könnte ein Konflikt in einer Beziehung nicht als Zeichen von Unvereinbarkeit, sondern als Gelegenheit zur Verbesserung der Kommunikation und des Verständnisses gesehen werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Paradoxe Intervention. Dabei wird das Problemverhalten bewusst verstärkt oder in einem anderen Kontext gefordert, um die zugrunde liegenden Muster zu durchbrechen. Wenn jemand beispielsweise unter Schlaflosigkeit leidet, könnte ihm geraten werden, absichtlich wach zu bleiben, was den Druck nimmt und oft zu besserem Schlaf führt.
Diese Ansätze erfordern oft Mut und Kreativität, da sie bestehende Überzeugungen und Verhaltensweisen in Frage stellen. Sie können jedoch sehr effektiv sein, um festgefahrene Probleme zu lösen und neue Perspektiven zu eröffnen.
Wenn die Lösung das Problem ist
Leider sehen wir derzeit an allen Ecken und Enden, dass immer nur Lösungen erster Ordnung angewandt werden. Im Nahostkonflikt gelten für alle am Konflikt Beteiligten offenbar ausschließlich Lösungen erster Ordnung. Schießt Du eine Rakete auf mich ab, antworte ich mit zwei Raketen und so weiter. Bei allen Maßnahmen ist doch für jeden erkennbar, dass der Konflikt als solcher nicht gelöst wird. Alle drehen nur an der Eskalationsschraube des „Mehr desselben“! Israel mag die Hamas militärisch besiegen, sie mag auch die Hisbollah militärisch niedermachen. Was aber wird das Ergebnis sein? Wird Frieden in die Region einziehen? Ich wage mal die Prognose: Nein! Die Palästinenser, die im Gazastreifen hin und her getrieben wurden, werden dadurch wohl kaum zu Verehrern des israelischen Staates. Gleiches gilt für die Palästinenser im Libanon und auch für die Libanesen, die mitansehen müssen, wie die Reste des funktionierenden Staates zerbombt werden. Um es klarzustellen: Unbelehrbar sind alle Seiten dieses Konflikts. Die Hamas hat den Konflikt ja nicht nur durch den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 ausgelöst. Sie hat bereits vorher durch die Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung den Konflikt genährt. Gleiches gilt für die Hisbollah und natürlich auch für den Iran. Aber auch Israel hat keine Gelegenheit ausgelassen, durch ihre Politik, die sich ausschließlich auf militärische Stärke stützt und die die Palästinenser als Menschen zweiter Klasse behandelt, jegliche Friedensmöglichkeiten zu torpedieren. Wer wundert sich, wenn auf den Westbanks einfach Siedlungen errichtet werden und die Siedler immer wieder durch Gewalt gegen die Palästinenser auffallen, dass der Nährboden für Terror gelegt wird.
Lösungen erster Ordnung sind daher nicht geeignet, diesen komplexen Konflikt (ja er ist komplex und die Täter sind gleichzeitig Opfer und umgekehrt) in irgendeiner Weise zu lösen. Hier bedarf es der Lösungen der zweiten Ordnung. Dies wird aber wohl mit den derzeitig entscheidungsbefugten Personen nicht funktionieren.
Dass das funktionieren kann, hat das Camp-David-Abkommen von 1978 zwischen Menachem Begin (Israel) und Anwar as-Sadat (Ägypten) unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter (Ja der, der am 1.20.2024 seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hat) bewiesen. Der aufgrund dieser Vereinbarungen geschlossene Friedensvertrag von 1979 hat sogar die Turbulenzen des derzeitigen Konflikts überstanden. Aber da gab es zwei Konfliktbeteiligte, die bereit waren, über ihren Schatten zu springen und es gab einen US-Präsidenten, der Mediation beherrschte und einen von den beiderseitigen Interessen getragenen Vertrag erreichen konnte.
Solche Lösungen zweiter Ordnung wünsche ich mir nicht nur für den Nahostkonflikt, sondern auch für den Ukraine-Krieg und viele weitere Konflikte, die täglich Todesopfer fordern, von denen jedes eines zu viel ist!