Kostenrisiko, Prozessrisiko und Vergleichsbereitschaft
Macht das Kostenrisiko eines bevorstehenden Prozesses die Parteien vergleichsbereiter oder anders gesagt, verhindern Rechtsschutzversicherungen einen Vergleich?
Diese Frage kann man anhand des Erwartungswertes einer Klage berechnen, wobei unterstellt wird, dass neben den monetären Zielen keine weiteren Gründe für den Prozess vorhanden sind, was zumindest bei natürlichen Personen oft der Fall ist („Dem werde ich es zeigen!“).
Unterstellt, ein Kläger verlangt von einem Schuldner 10.000 €. Der außergerichtliche Schriftwechsel war erfolglos. Der Kläger schätzt seine Chancen bei Gericht vorsichtig auf 90 % ein (auf hoher See und vor Gericht …). Der Erwartungswert seiner Klage ist daher zunächst hinsichtlich der Klageforderung 90 % von 10.000 €, also 9.000 €. Der Schuldner seinerseits sieht die Sache natürlich anders als sein Gegner, aber meint, zumindest 40 % Chancen zu haben, dass das Gericht die Klage abweist. Sein Erwartungswert ist daher 6.000 €. In dieser Phase der Verhandlungen besteht kaum eine Einigungsmöglichkeit, weil der Schuldner allenfalls seinen Erwartungswert anbieten wird (6.000 €) und der Gläubiger aber nicht weniger als seinem Erwartungswert = 9.000 € zufrieden sein wird.
Sind beide Parteien rechtsschutzversichert, bleibt die Situation auch im Falle einer Klage gleich, da beide kein Kostenrisiko haben. Es gibt keinen Einigungsbereich. Die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens belaufen sich auf gerundet 5.400 €. Der Erwartungswert des Gläubigers verringert sich demnach um seinen Kostenanteil, den er zu tragen hätte. Er beläuft sich daher auf 9.000 € abzüglich dem zu erwartenden Kostenanteil von 540 €, insgesamt also auf 8.460 €. Auch der Schuldner muss für den Fall des Prozesses neu rechnen. Er geht immer noch von einer Chance von 40 % aus. Sein Risiko ist also 6.000 € zuzüglich des entsprechenden Kostenanteils von 3.240 €, insgesamt also 9.240 €. Und siehe da, es tut sich ein Einigungsraum zwischen 8.460 € und 9.240 € auf. Wenn der Schuldner nun außergerichtlich einen Betrag zwischen diesen beiden Werten zahlt, steht er besser oder zumindest genauso schlecht da, als wenn er es auf einen Prozess ankommen lässt.
Das funktioniert natürlich so nicht mehr, wenn die Kosten real bereits angefallen sind. Natürlich ist der Erwartungswert lediglich ein mathematischer Wert aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Kein Gericht wird (normalerweise) den Erwartungswert ausurteilen. Ob man dem Erwartungswert nachgibt, ist natürlich auch eine Frage der Risikobereitschaft der jeweiligen Partei.
Es ist aber immer interessant, einmal die Wahrscheinlichkeit und den Erwartungswert eines Prozesses durchzurechnen, zumal das menschliche Gehirn nur schlecht mit Wahrscheinlichkeiten umgehen kann. Wie würden Sie einen Fall beurteilen, bei dem es drei Fragen zu klären gibt und bei allen dreien sind Sie der Meinung, zumindest 75 % Wahrscheinlichkeit spricht für Ihre Position. Würden Sie ein Angebot von 50 % der Forderung annehmen?
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit? Gerade einmal etwas mehr als 42 %, Sie wären gut beraten, einen hälftigen Vergleich zu akzeptieren. Wir bieten daher ein Seminar auch für Juristen und Rechtsanwälte zur Prozessrisikoberechnung an.
Letztlich sollte bei realistischer und unemotionaler Betrachtungsweise das Prozesskostenrisiko die Vergleichsbereitschaft erhöhen, vorausgesetzt, Sie sind nicht rechtsschutzversichert.