Hängt die Latte nicht so hoch!
Wenn Mediation angepriesen wird, kommt immer auch das Wort Win-Win-Lösung vor. Das sei das Ergebnis, das eine Mediation ausmacht im Gegensatz zu einem Gerichtsverfahren, das bestenfalls schnöde Kompromisse hervorbringt. Dann kommt auch immer das Apfelsinenbeispiel in irgendeiner Variation (es kann auch ein Kürbis sein).
Mir kommt das Winken mit der Win-Win-Lösung immer vor wie die Werbung mit dem „weißesten Weiß“ – schlicht unglaubwürdig oder übertrieben. Das Orangenbeispiel zeigt auch nur, dass man mit der frage nach den Interessen eventuell einen Scheinkonflikt aufdeckt (in diesem Beispielfall bestand eigentlich kein Konflikt, das haten die Beteiligten nicht erkannt).
Leider handelt es sich bei den Konflikten, die in der Mediation bearbeitet werden, in aller Regel eben nicht um solche Scheinkonflikte, die dann automatisch eine Win-Win-Lösung nach sich ziehen.
Auch ein Kompromiss ist nichts schlechtes, wenn man ihn nicht so definiert, wie mein Ausbilder am Landgericht während meiner Referendarzeit. Er meinte, dass ein Vergleich (=Kompromiss) dann gut ist, wenn alle Parteien unzufrieden damit sind. Denn auch ein Kompromiss kann eine Win-Win-Lösung sein. Es kommt dabei nur auf die Frage an, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Streiten sich zwei Parteien über die Zahlung von 10.000 EUR und vergleichen sich auf sanften Druck des Gerichts auf die Zahlung von 7000 EUR, kann man das als Nullsummenergebnis abtun (der eine gewinnt 7000 EUR, der anderen verliert 7000 EUR, Ergebnis 0). Das ist die Variante, bei der man das halbvolle mit dem halbleeren Glas vergleicht. Man kann es auch als lose-lose-Ergebnis definieren (der eine verliert von seiner Gesamtforderung 3000 EUR, der andere verliert 7000 EUR). Da nehmen wir auf beiden Seiten die halbleeren Gläser. Mit gleicher Berechtigung kann ich das Ergebnis auch als Win-Win-Lösung verkaufen (der eine gewinnt gegenüber der Maximalforderung des anderen 3000 EUR, der andere gewinnt gegenüber der Maximalforderung des Gegners 7000 EUR). Das ist dann der Vergleich der halbvollen Gläser.
Auch ist es nicht immer möglich, in einer Mediation Kooperationsgewinn zu erzielen. Das ist immer dort der Fall, wo es wirklich nur um einen Verteilungskonflikt einer Ressource geht. Kooperationsgewinne sind nur drt möglich, wo unterschiedliche Prioritäten bei mehreren Streitgegenständen vorhanden sind.
Die Frage des Win-Win ist für eine Beurteilung des Ergebnisses einer Mediation eigentlich völlig zweitrangig. Ziel einer Mediation sollte die Konsenslösung sein, also eine Lösung hinter der beide Parteien wirklich stehen. Dabei ist es völlig gelichgültig, ob das Ergebnis ein Kompromiss oder eine Win-Win-Lösung ist. Wichtig ist, dass beide Parteien der Mediation hundertprozentig dahinter stehen können.
Das geht am wenigsten mit abstrakten Hinweisen auf Gesetze oder rechtliche REgelungen. Das geht nur, wenn man die Interessen hinterfragt und auch alle Interessen (angemessen) berücksichtigt. Als Beispiel sei die Frage des Unterhalts in einer Trennungs- oder Scheidungsmediation genannt. Wenn die Beteiligten sich nur auf die Düsseldorfer Tabelle beziehen, so werden letztlci beide im ERgebnis unzufrieden sein, weil sie ihre individuellen Interessen schlichtweg nciht berücksichtigt sehen. Fragt man aber nach den Interesen, so mag auf der einen Seite herauskommen, dass man schon wünscht, dass es dem Kind gut geht, allerdings will man aber auch selbst genügend Mittel behalten, um ein nicht zu sehr eingeschränktes Leben zu führen und vielleicht auch aufgrund der finanziellen Situation auf dem Markt der zukünftigen Partner nicht allzu unattraktiv zu sein. Auf der anderen Seite geht es sicherlich auch darum, dass genügend Mittel vorhanden sind, um den Erfordernissen des Kindes genüge zu tun. Hier kann man als Mediator dann einmal ausrechnen, welchen Bedarf unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen die Beteiligten haben und wie man letztlich diesen Bedarf decken kann und ob und wo Einschränkungen gemacht werden müssen. Am Ende des Prozesses steht dann eine Konsenslösung, hinter der beide Parteien stehen können, möglicherweise nicht mit Begeisterung aber mit der rationalen Erkenntnis, dass das Ergebnis gemeinsam erarbeitet und richtig ist.
Daher sollte man dann eher für Mediation mit Konsenslösungen als mit der Win-Win-Lösung werben, wobei sich wiederum die Parteien je nach Eskalationsstufe des Konflikts am Anfang der Mediation kaum vorstellen können, mit der anderen Partei zu einem Konsens zu kommen (Win-Win will man ja sowieso nicht, der andere soll doch keinen Gewinn erzielen!). Reinhard K. Sprenger benutzt in seinem Buch „Das Prinzip Selbstverantwortung“ den Begriff „Commitment“ für eine Vereinbarung hinter der beide Parteien stehen. Vielleicht sollten wir diesen Begriff benutzen (er hört sich – zumindest für deutsche Ohren – nicht so gefährlich an wie Konsenslösung).
Letztlich sollten wir aber auch als Mediatoren realistisch bleiben, selbst einen Konsens oder Commitment werden wir nicht in jeder Mediation erreichen können. Wer der festen Meinung ist, dass sein(e) Ex-Partner(in) keinerlei Unterhaltsleistung verdient und vom rechtlichen Berater (nicht vom Mediator) erfahren hat, dass er nicht darum herumkommt, wird allenfalls einen Kompromiss im etwas schlechteren Sinne des Wortes eingehen. Oder aber man einigt sich darauf, uneinig zu sein (we agree to disagree) und vereinbart allenfalls ein Verfahren, diesen Punkt der Uneinigkeit einer Drittentscheidung (nicht durch den Mediator) zuzuführen.
Also Liebe Mediatorenkolleginnen und -kollegen hängt Euch selbst und auch den MediandInnen die Messlatte und das Ziel nicht zu hoch. Ziel ist zwar nciht eine Vereinbarung um jeden Preis, es darf aber auch ein Kompromiss sein, ohne an der eigenen Mediationskompetenz zu zweifeln. Und überfordert die MediandInnen nicht am Anfang der Mediation mit einer Zielvision, die sie zu diesem Zeitpunkt für unrealistisch halten oder schlicht nicht wollen.