Haben Sie bei Sozialkunde aufgepasst?
Vor einigen Tagen war ich doch entsetzt. In einem sozialen Unternehmen unterrichte ich für angehenden Führungskräfte den juristischen Teil. Im Rahmen dessen kam ich auf Gewaltenteilung zu sprechen. Fast alle Teilnehmer*innen hatten davon keine Ahnung, sie konnten auch nicht sagen, wer in Deutschland auf Bundesebene die Gesetze beschließt, wer sie ausführt und so weiter. Es fehlten tatsächlich sämtliche Grundlage dessen, was bei uns früher Sozialkunde (heute: Politik) hieß. Laut Lehrplan sollte das eigentlich durchgenommen worden sein, allerdings scheinen diese Themen Opfer des Bulimie-Lernens geworden zu sein. Und das, obwohl es doch unerlässlich ist, wenn man seine demokratischen Rechte wahrnehmen will. Die meisten Teilnehmenden wusste nicht einmal, was sie am 23. Februar 2025 eigentlich wählen (nämlich den Bundestag und nicht die Regierung und nicht den Bundespräsidenten und auch nicht den Bundesrat).
Einziger Lichtblick bei den Teilnehmenden war eine syrische Migrantin, die vor nicht allzu langer Zeit die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat. Sie musste das alles lernen, damit sie die Staatsangehörigkeit bekommt.
Deshalb hier noch einmal für diejenigen, bei denen der Sozialkundeunterricht schon länger vorbei ist, ein kurzer Überblick:
Es gibt traditionell in einer Demokratie die Aufteilung der Gewalten (meint der Kompetenzen) in Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (ausführende Gewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt).
Der Hauptgrund für die Gewaltenteilung ist die Verhinderung einer übermäßigen Machtkonzentration und der Schutz vor Machtmissbrauch. Indem die Staatsgewalt auf verschiedene Institutionen aufgeteilt wird, kann keine einzelne Person oder Institution allein herrschen. Dies dient dem Schutz der Freiheit und Gleichheit der Bürger.
Die drei Gewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – kontrollieren sich gegenseitig. Dieses System der „Checks and Balances“ stellt sicher, dass keine Gewalt ihre Befugnisse überschreitet. Zum Beispiel kann die Judikative prüfen, ob Gesetze der Legislative verfassungsgemäß sind.
Legislative ist auf Bundesebene der Bundestag. Er (besser gesagt die Abgeordneten des Bundestages) wird von den Bürgern in freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt. Eine Hälfte der Abgeordneten wird im Wege der Mehrheitswahl direkt gewählt, das entscheidet die sog. Erststimme. Hier stellt jede Partei für jeden Wahlkreis einen Direktkandidaten auf. Wer im Wahlkreis die meisten (Erst-)Stimmen bekommt, zieht dann in den Bundestag ein. Die Zweitstimme entscheidet über die Mehrheit im Bundestag. Hier wird eine Partei gewählt und die Anzahl der Sitze im Bundestag wird entsprechend der Prozente der Stimmen vergeben.
Da die Bundesrepublik ein föderaler Staat ist, wirken auch die Länder an der Gesetzgebung im Bund über den Bundesrat mit. Im Bundesrat sind die Bundesländer mit mindestens drei Stimmen, größere Länder mit mehr Stimmen vertreten. Je nachdem, ob die Länder von einem Bundesgesetz betroffen sind, gibt es Gesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss oder andere, gegen die er Einspruch einlegen kann, der aber vom Bundestag wieder überstimmt werden kann.
Ausführende Gewalt auf Bundeseben ist die Bundesregierung mit den Ministerien und nachgeordneten Verwaltungsbehörden. Sie erlässt keine Gesetze, sie kann lediglich Gesetze in den Bundestag einbringen. Einzige Ausnahme sind Verordnungen (z.B. Straßenverkehrsordnung). Hier kann die Regierung aber nur dann tätig werden, wenn sie in einem Gesetz hierzu ermächtigt wurde. Ansonsten ist die Regierung als ausführende Gewalt strikt an Recht und Gesetz gebunden.
Das Bundesverfassungsgericht ist dann das höchste Gericht und damit die höchste Instanz der rechtsprechenden Gewalt.
Ja, dann haben wir noch als höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland den Bundespräsidenten. Er wird von der Bundesversammlung gewählt. Darin sitzen die Bundestagsabgeordneten und eine gleich Anzahl von Vertretern der Bundesländer. Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag den Bundeskanzler zur Wahl vor und ernennt ihn anschließend und er ernennt und entlässt er die Bundesminister. Er ernennt und entlässt Bundesrichter, Bundesbeamte, Offiziere und Unteroffiziere.
Der Bundespräsident prüft und unterzeichnet Bundesgesetze, wodurch diese in Kraft treten.
Er vertritt Deutschland völkerrechtlich. Er schließt Verträge mit anderen Staaten ab, er verleiht Orden und Ehrenzeichen.
Trotz dieser vielfältigen Aufgaben hat der Bundespräsident in der parlamentarischen Demokratie Deutschlands nur begrenzten Einfluss auf die Tagespolitik. Seine Rolle ist eher die eines „Staatsnotars“ und moralischen Kompass der Nation.
Das ist in aller Kürze ein Überblick über das System der Bundesrepublik Deutschland. Das gehört meiner Meinung nach zum Grundlagenwissen, ohne das ich meine demokratischen Rechte weder bewerten noch ausüben kann. Ich bin „Spätachtundsechziger“ und bin daher in einer politisch aufgeklärten und aktiven Zeit groß geworden und auch damals (und heute auch wieder) politisch aktiv. Deshalb war es für mich auch völlig selbstverständlich, dass jeder diese Grundlagen kennt. Mich wundert nach dieser Erfahrung nun nichts mehr. Wer diese Grundlagen nicht hat, der kann Demokratie nicht wertschätzen und auch seine demokratischen Rechte nicht.