Das Märchen von den Prozesshanseln

Das Märchen von den Prozesshanseln

Die landläufige Meinung zu Rechtsanwälten ist, dass sie Prozesshanseln sind und nichts besseres zu tun haben, als ihre Mandanten in (gelegentlich aussichtslose) Prozesse zu jagen. Die Realität spricht eine andere Sprache. Vergleicht man die Belastung der Gerichte und setzt sie in Beziehung zu der Zahl der Anwälte, so ergibt sich ein vollkommen anderes Bild.

Seit 1995 sind die Eingangszahlen bei den Zivilgerichten kontinuierlich zurückgegangen. Die Zahl der Anwälte hat sich seit 1995 mehr als verdoppelt. Rein rechnerisch entfielen auf jeden Anwalt im Jahre 1995 (auf ganze Zahlen gerundet) 31 Prozesse (wobei Rechtsmittelverfahren als eigenes Verfahren gezählt wurden). Im Jahre 2009 waren es im Durchschnitt gerade noch 11 Verfahren. Die Eingangszahlen bei Strafsachen haben sich nur geringfügig verändert. Durch das Ansteigen der Anwaltszulassungen ergaben sich durchschnittlich 12 Strafverfahren pro Anwalt im Jahre 1995, im Jahre 2009 dann gerade noch 6 Verfahren (wobei Strafverfahren zumindest in der Eingangsinstanz nichts mit Prozesshanselei zu tun haben).

Leider habe ich keine aktuellen Statistiken zur Arbeitsgerichtsbarkeit gefunden. Soweit ich (ältere) Daten interpretieren konnte, dürfte die Entwicklung dort die gleiche sein.

Auch aus gebührenrechtlicher Sicht dürfte es für Rechtsanwälte nicht (immer) sinnvoll sein, den Mandanten zu einem Prozess zu überreden. Sicherlich ist es sinnvoller, in außergerichtlichen Verhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen als einen Prozess zu führen, da die Vergütung für diese Tätigkeit letztlich bezogen auf die eingesetzte Arbeitszeit sicherlich lukrativer ist. Etwas anderes mag allenfalls für Prozesskostenhilfemandate gelten, da für die Beratungshilfegebühr beim besten Willen kein Anwalt kostendeckend arbeiten kann.

Noch ein Irrtum mancher Mandanten: Kein Anwalt hat Interesse daran, möglichst viele Briefe und Schriftsätze zu verfassen – zumindest solange er nach dem Rechtsanwalts-Vergütungsgesetz abrechnet, da hier die jeweiligen Tätigkeitsphase vergütet wird unabhängig davon, wie viele Briefe geschrieben werden.

Gerfried Braune

Assessor jur. & zertifizierter Mediator Ringstr, 49, 66130 Saarbrücken, Telefon +49 6893 986047 Fax +49 6893 986049, Mobil +49 151 40 77 6556
7 Gedanken zu „Das Märchen von den Prozesshanseln
  • H.B. 25. März 2012 um 20:50 Uhr

    Es gibts sie dennoch, die Anwälte die Prozesse führen, nur weil die RSV zahlt. Einen Fall hab ich aktuell selber auf den Gegenseite. Erfolgsaussichten – streng juristisch betrachtet – gegen null. Aus diesen wenigen wird am Stammtisch aber ganz schnell „jeder“ Anwalt

  • Rolf Schälike 26. März 2012 um 06:22 Uhr

    Solche Durchschnittszahlen trügen. Multipliziert man die durchschnittliche Zahl von Prozessen mit den RVG-Honorar pro Prozess, dann dürften die Anwälte im Durchschnitt verhungern. Unbestritten geht es einer beträchtlichen Zahl von Anwälten ausgezeichnet. Es gibt sogar Millionäre unter den Anwälten, die oft klagen und klagewütige Mandanten vertreten.

    Die verbreitete Meinung, dass Anwälte Mandanten zu aussichtslosen Prozessen verleiten, hat auch viel damit zu tun, dass Anwaltszwang besteht uind die schwarzen Schafe von den Anwaltskammern und den Gerichten nicht auf den Boden der Realität mit Verweis auf die beruflichen Anwaltspflichten verwiesen werden.

    Leuchtende Beispiele sind das Abmahngeschäft und die Abofallen. Daran beteiligt sind recht viele Anwälte, auch prominente, Doktoren und Professoren.

  • Gerfried Braune 26. März 2012 um 07:40 Uhr

    Natürlich trügen solche Durchschnittszahlen. Von 11 Prozessen im Jahr könnte in der Tat kein Anwalt leben. In den Zulassungszahlen sind ja auch Syndikusanwälte enthalten, die kaum bei Gericht auftreten oder reine Beratungsanwälte. Wichtiger ist, dass die nackte Zahl von Prozessen trotz Verdoppelung der anwaltszahlen zurückgegangen ist.

  • Rolf Schälike 26. März 2012 um 10:25 Uhr

    Dass die Zahl der Prozesse zurückgegangen ist, ist tatsächlich eine interessante Tatsache. Entspricht sogar meiner eigenen Beobachtung bei den Zensurgerichten und meinem eigenen Prozessverlangen.

    Von den seit 1986 etwa einem Dutzend von mir aus geführten Prozessen habe ich nur zwei gewonnen. Die Rechtsprechung entspricht nicht dem Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. Klagen tut deswegen überwiegend der fiese Teil der Bevölkerung.

    Vielleicht wird die Tatsache, das es dem überwiegenden Teil der Anwälte finanziell schlecht geht, zu einer Selbstkorrektur der Rechtsprechung führen und es wird sich wieder lohnen, bei den Richtern Recht zu suchen.

    Heute setzen sich mafiose Strukturen im Kleinen wie im Großen durch, weil diese mehr Gerechtigkeit versprechen als die Justiz.

  • RA Müller 26. März 2012 um 10:44 Uhr

    Das Verhältnis der Anzahl von Anwälten zu den Eingangszahlen bei Gericht dürfte keinen validen Rückschluß darauf zulassen, ob die Anwaltschaft viele „Prozeßhansel“ umfaßt. Schließlich wird durch ein „Mehr“ an Anwälten nicht per se ein „Mehr“ an Streitfällen generiert.

  • Non Nomen 26. März 2012 um 10:49 Uhr

    >>(wobei Strafverfahren zumindest in der Eingangsinstanz nichts mit Prozesshanselei zu tun haben).<<
    Das stellt sich bei einigen Staatsanwälten und Staatsanwaltschaften deutlich anders dar. Die (An-)Klagewut ist ein Fieber, welches mit gesundem Menschenverstand nicht geheilt werden kann!

  • klabauter 26. März 2012 um 12:17 Uhr

    @No Nomen:
    Es werden rund 2/3 aller Ermittlungsverfahren (dazu gehören z.B. viele Strafanzeigen von Anzeigehanseln) eingestellt. Das ist seit Jahren einigermaßen konstant, ebenso wie die Anklagequote (siehe bei destatis Fachserie 10 Reihe 2.6, Geschäftsanfall und Erledigungen bei den Staatsanwaltschaften).

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