Da wundert man sich nicht mehr
Anfang November halte ich einen Vortrag bei der Europäischen Akademie Otzenhausen vor amerikanischen Studenten und Professoren zum Thema „Dispute resolution in Germany: How does it work?“. Im Rahmen der Vorbereitung habe ich mich mit dem US-amerikanischen Rechts- und Justizsystem auseinandergesetzt. Bei Diskussionen über die Frage, warum Mediation in Deutschland immer noch ein Schattendasein fristet, habe ich immer darauf verwiesen, dass unsere Gerichte im Vergleich zu den Verhältnissen in anderen Staaten noch viel zu gut funktioniert und daher die alternativen Streitbeilegungsverfahren nicht wirklich genutzt werden.
Das US-amerikanische Rechts- und Justizsystem ist nun in der Tat dazu geeignet, Mediation als Alternative zum Gerichtsverfahrenzu begünstigen. Da ist zum einen die weitgehend fehlende Kostenerstattung. Das bedeutet, dass die Kläger auch dann, wenn sie ihren Prozess voll gewinnen, auf ihren eigenen Kosten sitzen bleiben – aber auch nicht die Kosten der Gegenseite tragen müssen, wenn sie verlieren. Bei uns haben die Parteien immer die Hoffnung, im Falle des für sie günstigen Prozessausgangs keinerlei Kosten tragen zu müssen. Da es eine Kostenerstattungsregelung bei einer Mediation auch nicht gibt (es sei denn, die Beteiligten vereinbaren das im Rahmen der Mediation), ist dies ein Gesichtspunkt, der für manchen an der Mediation Interessierten eher abschreckend wirkt. In den Vereinigten Staaten sind dies die potenziellen Medianden gewöhnt und es schreckt sie nicht von einer Mediation ab. Was aber Mediation in den USA begünstigt, ist auch die Höhe der Rechtsanwaltskosten. In der Regel wird mit Stundenhonoraren abgerechnet. Da ein Prozess sehr zeitintensiv ist, entstehen hohe Kosten für Rechtsanwälte.
Der zweite Punkt ist, dass im amerikanischen Justizsystem durch das Common Law und das Jury-Prinzip Entscheidungen wesentlich weniger vorhersagbar sind, als im deutschen Zivilprozess (auch wenn wir auch in Deutschland vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sind). Dies gilt um so mehr, als eine Klage bei uns bereits substantiiert sein muss, das heißt, alle klagebegründenden Argumente müssen bereits mit der Klage vorgebracht werden und Beweise angeboten werden. Anders im US-amerikanischen Zivilprozess. Dort beginnt das genaue Ermitteln des Sachverhalt erst nach Klageeinreichung in der sog. Disvovery (Tatsachenermittlungsverfahren). Zumindest für uns deutsche Juristen ist dieses Verfahren kaum nachvollziehbar.
Auch dauern US-amerikanische Gerichtsverfahren sehr lang, bis sie alle Phasen hin zum Urteil durchlaufen haben. das begünstigt die Inanspruchnahme alternativer Methoden, da diese schneller zu einem Ergebnis kommen. Offenbar ist bei deutschen Zivilprozessen insoweit die Schmerzgrenze der Beteiligten noch nicht erreicht. Auch hier dauern Zivilprozesse relativ lang und eine Mediation kommt normalerweise wesentlich schneller zu einem Ergebnis.
Ein weiterer Grund für die stärkere Inanspruchnahme von Mediation in den Vereinigten Staaten ist, dass dort viele Gerichte den Parteien aktiv Mediation nahelegen oder sie sogar dazu verpflichten, da die Gerichte dort rettungslos überlastet sind und die Richter ein Interesse haben, möglichst viele Verfahren loszuwerden. Auch bei uns jammern Richter immer wieder über ihre starke Überlastung. Allerdings sind sie (in der überwiegenden Zahl) nicht bereit, Verfahren an Mediatoren abzugeben oder den Parteien wenigstens Mediation nahezulegen (siehe mein Blogbeitrag hier). In den USA gibt es sogar viele staatliche Mediationsprogramme. Deshalb ist dort Mediation viel bekannter und auch eher akzeptiert als bei uns.
Nach alledem muss es wirklich nicht verwundern, dass Mediation in den USA einen viel breiteren Raum einnimmt und mehr genutzt wird, als bei uns.