Auch beim Güterichter kann man über den Tisch gezogen werden

Auch beim Güterichter kann man über den Tisch gezogen werden

Unter dem Titel „Teures Missverständnis im Mediationsverfahren vor dem Güterichter“ hat die Centrale für Mediation am 27.09.2022 über ein Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 17.05.2022 (Aktenzeichen 6 Ca 851/21)berichtet, das gelinde gesagt Zweifel an der mediatorischen Kompetenz des Güterichters vom Landesarbeitsgerichts Thüringen aufkeimen lässt.

Was war geschehen?
Der Kläger des Verfahrens hatte sich gegenüber seinem Arbeitgeber der Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Beihilfe zur Bestechlichkeit schuldig gemacht. Der Beklagten war – zumindest nach den Feststellungen des Strafurteils – ein Schaden von 2,721 Millionen entstanden. Hintergrund war ein Betrugsskandal beim Kinderkanal KIKA. Der Sender hatte vor dem Arbeitsgericht Forderungen gegen den jetzigen Kläger in Höhe von 478 T€ titulieren lassen. Im Berufungsverfahren vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht wurde ein Güteverfahren vor dem Güterichter eingeleitet. Dieses endete mit einem Vergleich, der u.a. wie folgt lautete:
    1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr Vertragsverhältnis mit Wirkung zum 30.06.2011 sein Ende gefunden hat.
    2. Die statusrechtliche Einordnung des Klägers bleibt ausdrücklich offen.
    3. Der Kläger verpflichtet sich an die Beklagte 2,738 Millionen Euro zu zahlen.
    4. Die Beklagte verpflichtet sich die unter Ziffer 3 genannte Summe niederzuschlagen sofern der Kläger 260.000,00 € an die Beklagte zahlt.
      Die Parteien vereinbaren folgende Zahlungsmodalitäten:
Der Kläger hatte mittlerweile die unter Ziffer 4 des Vergleiches vereinbarten 260.000 € bis 2019 gezahlt. Gleichwohl vollstreckte die Beklagte seit 2020 nun aus dem Vergleich wegen der (ja nun nicht gerade unerheblichen) Restsumme.
Die gegen die Vollstreckung eingeleitete Vollstreckungsgegenklage hat das Arbeitsgericht nun zurückgewiesen.
Die Frage war demnach, was mit dem Begriff „niederschlagen“ gemeint war. Die Auslegung des Klägers war – und dem kann man sich nicht ganz verschließen –  , dass nach Zahlung der 260 T€ die Sache erledigt ist. Die Rundfunkanstalt allerdings war der Meinung , dass das Wort im verwaltungsrechtlichen Sinne gemeint gewesen sei (Siehe Wikipedia „Niederschlagung (öffentlich-rechtliche vollstreckbare Forderung)„)
Natürlich hat das Arbeitsgericht Erfurt in der Vollstreckungsgegenklage Beweis erhoben durch Vernehmung der Verhandler des Senders und deren Anwalt und Vernehmung des damaligen Anwalts des jetzigen Klägers und nicht zuletzt durch Vernehmung des damaligen Güterichters, immerhin damals Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts (jetzt a.D.). Natürlich haben die Zeugen der Beklagtenseite, also des KIKA, ausgesagt, dass damals klar gesagt worden sei, dass hier kein Verzicht erklärt worden sei, sondern nur eine Niederschlagung im verwaltungsrechtlichen Sinne gemeint gewesen sei und dies so auch kommuniziert wurde. Der Güterichter konnte sich erstaunlicherweise an überhaupt an nichts erinnern. Der damalige Anwalt des jetzigen Klägers hat auf der einen Seite bestätigt, dass es für den Kläger äußerst wichtig gewesen sei, über seine Zahlungsverpflichtungen Klarheit zu erhalten. Allerdings sei die Gegenseite damals (nicht zuletzt wegen der Öffentlichkeit) nicht bereit gewesen, einen Verzicht zu erklären. Es sei keine „direkte“ Zusage erfolgt, dass mit der Zahlung der 260 T€ die Restsumme erledigt sei. Auch nach Vorhalt eines Schreibens des Anwalts an seinen damaligen Mandanten, in dem dieser die Niederschlagung in dem Sinne erklärt hatte, dass damit die Sache erledigt sei, blieb der Anwalt bei seiner Version.
Das Arbeitsgericht Erfurt hatte infolge dessen nun die Vollstreckungsgegenklage abgewiesen und den Begriff „Niederschlagung“ im verwaltungsrechtlichen Sinne ausgelegt.
Nun, wenn man das Urteil liest, bleiben einem Mediator einige Bauchschmerzen zurück. Zum ersten fragt man sich, ob hier nicht eine Vergleichsverhandlung im rein juristischen Sinne stattgefunden hat. Allein die Verweisung eines Rechtsstreits an den Güterichter macht aus einem Gerichtsverfahren noch kein  Mediationsverfahren. Dies gilt j um so mehr, als Güterichter nicht unbedingt eine Mediationsausbildung nachweisen müssen. § 54 Abs. 6 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) sagt nämlich aus, dass ein Güterichter „alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation“ einsetzen kann.  Aus dem Urteil ist auch ersichtlich, dass – sofern es sich überhaupt um eine Mediation handelte – es eine Shuttle-Mediation war, bei der die Parteien in verschiedenen Räumen getrennt sitzen und nur der Mediator oder in diesem Fall der Güterichter hin und her pendelt.
War hier ein Fehler bei der Übermittlung an die jeweils andere Partei Ursache der jetzigen Differenz? Oder war es möglicherweise nicht vielmehr so, dass der Kläger ein klares Interesse hatte, nach Zahlung der 260 T€ schuldenfrei zu sein. Die andere Seite konnte – wegen des öffentlichen Interesses an dem Fall –  keinen ausdrücklichen Verzicht erklären. Also wählte man den Begriff „niederschlagen“. So konnte man der Öffentlichkeit präsentieren, dass man auf nichts verzichtet habe. Intern sollte aber klar sein, dass mit der Zahlung alles erledigt sei. Deshalb wurde wohl der im Zivilrecht ungebräuchliche Begriff „niederschlagen“ gewählt. Es ging hier ja nicht um eine öffentlich-rechtliche Forderung sondern um eine zivilrechtliche Schadensersatzforderung einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Das ist etwas völlig anderes.
Alles andere erscheint wenig plausibel. Folgt man der Argumentation der Beklagten, hätte der „Vergleich“ für den Kläger keinerlei Mehrwert gegenüber einer Verurteilung gebracht. Die gilt um so mehr, als zum Zeitpunkt der angeblichen Einigung vor dem Güterichter überhaupt nicht erkennbar war, ob die Voraussetzungen einer Niederschlagung vorliegen würden. Welchen Sinn hätte daher diese Regelung im Vergleich gehabt? Dann wäre besser formuliert worden, dass nach Zahlung der 260 T€ eine Niederschlagung geprüft werden soll.
Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass sich der Güterichter an nichts mehr erinnern kann (will?).
Es bleibt daher der fahle Geschmack, dass hier eben keine Mediation gemacht wurde sondern – wie bei Gericht so oft – ein irgendwie gearteter Vergleich gezimmert wurde, der das Gericht der Arbeit enthebt, ein Urteil schreiben zu müssen. Zumindest hat aber der Güterichter, wenn er es denn als Mediation bezeichnet, gegen seine Verpflichtung gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 Mediationsgesetz verstoßen, darauf hinzuwirken, dass die Parteien die Vereinbarung in Kenntnis der Sachlage treffen und ihren Inhalt verstehen.
Es ist auch offensichtlich, dass hier kein interessengeleitetes Mediationsverfahren stattgefunden hat, zumindest wenn man der Auffassung des Arbeitsgerichts Erfurt bei der Auslegung des Begriffs „niederschlagen“ folgt.
Es zeigt sich demnach, dass die Parteien – zumindest der Kläger – bei einem ausgebildeten und nicht dem Gericht angehörenden Mediator (oder Mediatorin) besser aufgehoben gewesen wäre. Und es zeigt sich auch, dass die Formulierung eines Vergleichs durch einen Güterichter nicht erwartet werden kann, dass der Wortlaut juristisch sauber und nachvollziehbar formuliert wird – oder sollte der Kläger bewusst im Unklaren gelassen werden? Dieser Verdacht drängt sich hier fast auf!
Wie so oft, wird hier etwas als Mediation bezeichnet, was keine Mediation ist. Hierdurch wird Mediation als interessengeleitete Konfliktlösung kompromittiert obwohl sie es nicht verdient hat!

Gerfried Braune

Assessor jur. & zertifizierter Mediator Ringstr, 49, 66130 Saarbrücken, Telefon +49 6893 986047 Fax +49 6893 986049, Mobil +49 151 40 77 6556

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