Ein göttliches Recht oder ein teuflisches Unrecht wohnt in jedem Anspruch, den ein Mensch an den anderen macht. (Thomas Carlyle (1795 – 1881), schottischer Philosoph, Historiker, Essayist, Geschichtsschreiber und sozialpolitischer Schriftsteller)

Für viele, insbesondere Juristen, ist die Differenzierung zwischen Anspruch und Interesse oder Bedürfnis nicht immer offensichtlich. Wenn ich einen Anspruch erhebe, scheint es zunächst, als wäre es in meinem Interesse oder Bedürfnis, diesen erfüllt zu sehen. Ein Anspruch, definiert durch § 194 BGB, ist das Recht, von jemandem ein Handeln, Dulden oder Unterlassen einzufordern. Es dreht sich um die klassische juristische Frage: Wer verlangt was von wem und auf welcher Grundlage?

Die neurologischen Ebenen nach Dilts ordnen den Anspruch der Umwelt- oder Verhaltensebene zu. Einstein bemerkte treffend, dass Probleme selten mit der Denkweise gelöst werden können, durch die sie entstanden sind. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, über den bloßen Anspruch hinaus zu denken und die tiefer liegenden Interessen und Bedürfnisse zu erkennen, die oft die wahren Beweggründe hinter einem Konflikt darstellen.

Letztendlich geht es nicht um das eigentliche Ziel, sondern um die Gefühle, die dahinterstehen. Nehmen wir an, ein Freund bietet Ihnen ein hochwertiges Sportcoupé zu einem unschlagbaren Preis an und Sie verfügen über die nötigen Mittel. Würden Sie das Angebot annehmen? Für manche mag ein solches Angebot uninteressant sein, entscheidend sind die Gefühle, die mit dem Besitz des Sportcoupés einhergehen würden. Wir bewegen uns hier auf der Ebene der Überzeugungen, Werte und Motive. Der Mediator Adrian Schweizer identifizierte neun Leitwerte, die alle Motive unseres Verhaltens abdecken: Freiheit, Sicherheit, Anerkennung, Macht, Harmonie, Intensität, Integrität, Fürsorge und Wissen. Welches Motiv würde Sie zum Kauf des Sportcoupés bewegen? Vielleicht das Bedürfnis nach Macht, als Beherrscher der Überholspur, oder das Bedürfnis nach Intensität, um den Nervenkitzel zu genießen. Oder streben Sie nach Anerkennung – das Fahrzeug als Statussymbol.

In der Mediation ist es entscheidend, die im spezifischen Kontext relevanten Leitwerte, Motive und Interessen zu identifizieren. Daraus können sich neue, interessante Alternativen ergeben, die Ihre Interessen ebenso erfüllen. Es muss also nicht zwingend das Sportcoupé sein. Es gibt andere Wege, das Bedürfnis nach Macht oder Intensität zu befriedigen. Wenn wir uns nur auf die Frage konzentrieren, ob Sie das Fahrzeug kaufen sollten oder nicht, verharren wir auf der Handlungsebene und übersehen Alternativen. Betrachten wir jedoch die Ebene der Interessen, erweitert sich das Spektrum der Lösungsmöglichkeiten erheblich.

Dies verdeutlicht den Unterschied zwischen Anspruch und Interesse und zeigt auf, was juristische Verhandlungen von Mediationsverhandlungen unterscheidet.

Der Gedanke findet den besten Weg zum Ziel.
Das Gefühl lenkt den Gedanken zum besten Ziel.
© Miroslav Mamic (*1981), Architekturstudent, Hobbyphilosoph